Diese ganzen Massnahmen sind unsäglich. Und sie zeigen das Kernproblem des Schweizer Hockeys:
In den letzten 20 Jahren wurde Hockey nicht mehr für die gemacht, denen es am Herzen liegt. Sondern für alle anderen.
Sportchefs und CEO reden gerne davon wie man das „Produkt“ Hockey noch attraktiver machen könnte. Und meinen damit einzig und allein, wie man immer mehr Menschen ins Stadion (und vor die Pay-TV-Bildschirm) locken kann. Dafür ist jedes Mittel recht, dass Hockey zu einem Vergnügen ohne Ecken und Kanten macht. Komfortable Stadien, Pausenunterhaltung für Gross und Klein und das Ganze gerne auch ohne störende Gästefans, die unflätiges Zeugs rufen...
Man will ein möglichst planbares Unterhaltungsprodukt - am besten so planbar, dass das Risiko einer Niederlage auf dem Feld auf ein Minimum reduziert wird, schliesslich geht der Fan aka Kunde mit einem Sieg viel zufriedener nach Hause als ohne. Darum ist den so genannten Top-Clubs jedes Mittel recht, dass ihre Vormachtstellung ausbaut und ihr wichtiges Verkaufsargument zementiert: Erfolg. Leichter, anspruchsloser Erfolg für Zuschauer, die für nichts anders ins Stadion kommen. Dass man so eine Liga schafft, in denen kleinere Teams eigentlich nur noch Füllmaterial sind, nimmt man gerne hin. Jason O‘Leary beschreibt ziemlich am Anfang dieses Berichts gut, wie die NLA aussehen wird, wenn man die Pläne der Spitzenteams umsetzt:
https://m.bote.ch/sport/ex-academy-trai ... 72,1220060
Dass bei den ganzen Planspielen mit 13 oder 14 Teams etablierten Hockeykulturen wie Ajoie oder Schodfo de facto die Existenzgrudlage entzogen wird, ist der Gipfel des Hohns. Man kann die NLB schon unattraktiv schimpfen. Aber für die Fans dieser Clubs ist sie es nicht. Diese Clubs, oder auch Thurgau oder Langenthal, schaffen es anständig zu wirtschaften und werden von ihren Fans mit mindestens so viel Leidenschaft begleitet wie die Anhänger von Grossclubs es tun. Wahscheinlich eher noch mehr. Mein Respekt vor irgendeinem Typen aus dem Solothurner Hinterland, der zum EHC Olten pilgert statt sich ein bequemes Fanleben beim SCB zu machen. Um ihre pervertierte Vorstellung von Sportunterhaltung durchzudrücken, nehmen die Spitzenclubs die Vernichtung solcher Hockykulturen inkauf. Das ist einfach nur pervers.
Um eins klarzustellen: Es geht hier nicht um das Schimpfen gegen die böse Kommerzialisierung. Kommerz ist das, was Profisport erst möglich macht. Aber: In den 90er-Jahren, als wir zum ersten Mal aufgestiegen sind, hatte man auch bereits Profisport in der Schweiz und ebenso kommerzielle Partnerschaften wie den Key-Player von Bankverein, diese obskure Inline-Liga im Sommer und wenn ich mich recht erinnere, war Schweizer Apfelsaft auch recht vorne dabei in Sachen Vermarktung. Der springende Punkt ist: Damals stimmte die Balance. Man hatte einem Sport, der durchaus ein breites Publikum ansprechen will und dafür auch Spektakel bietet, aber das gleichzeitig nicht zum Selbstzweck macht. Plump gesagt: Buisness-Überlegungen und die Seele des Sports, das kriegte man irgendwie noch zusammen.
Also zurück in die Vergangenheit?
Nein, natürlich nicht. Es geht nicht darum, die Zeit zurückdrehen zu wollen. Sondern viel mehr darum, was Hockey zu Hockey macht. Es ist ja nicht nur das ganze Drumherum, sondern auch das Geschehen auf dem Eis, das sich immer mehr nach der bestmögliche Vermarktung richten muss. Die „Null-Toleranz“-Regelauslegung ist das beste Beispiel dafür. Ist ja gut und recht, wenn man technisch begabte Spieler bevorteilen will. Aber es ist halt auch typisch für einen Sport, der fast nur noch auf das Highlight-Showreel für die knackige Social Media Zusammenfassung schielt, weil ein fabelhafter Hockeckschuss nach einem virtuosen Dribbling halt weitaus mehr Klicks generiert als ein hinengeknorztes, dreckiges Tor.
Ein Cervenka pro Team ist gut und auch wichtig, aber wenn ihr mich fragt, was denn die Quintessenz von Hockey ist, dann ist es Hüslers Tor zum 1:1 im Halbfinal gegen Ajoie im Spiel 6 (
https://youtu.be/ROuqlhNTy_s). Hässlich und dreckig. Ein wunderbares Gewürge. Gewürge ist gut. Gewürge ist wunderbar. Es ist ehrlich, es zählt, es macht den Job ganz ohne Zuckerpässchen für die Galerie. Top.
Es ist das Gegenteil dieser beschissenen Hochglanz-Ästhetik und der Einstellung, dass Sport immer „Champions League“-Ansprüche erfüllen muss, um zeigenswert und würdig zu sein. Zum kotzen.
Um ein Beispiel aus dem Fussball zu nehmen: Fussball ist nicht Real Madrid gegen ManU. Fussball ist Aarau-Chiasso an einem veregneten Novemberabend unter der Woche auf dem Brügglifeld, mit einem unansehnlichen 0:0 auf einem Acker von Platz ohne auch nur einen spielerischen Glanzpunkt, dafür ordentlichen Blutgrätschen und einer ebenso ordentlichen Bratwurst auf einem ungedeckten Stehplatz. Da geht niemand hin, der nicht unbedingt will. Aber jene, die hingehen, tun es bewusst. Genau wie bei uns.
Darum geht’s. Nicht um die Unterteilung, was ein richtiger Fan ist und was nicht. Sondern dass man das, was man macht, bewusst macht. Nicht einfach konsumieren, sondern sich mit dem Sport, dem man sich da grad ansieht, wenigstens im Ansatz auseinandersetzen. Und wenn‘s einem gefällt, gerne wiederkommen. Natürlich auch, um Erfolge zu sehen. Aber vor allem um die Mannschaft zu sehen, die man unterstützt, statt sich von ihr bloss unterhalten zu lassen.
Wird sich etwas in diese Richtung ändern? Kaum. Aber es gäbe genug Beispiele, dass es auch so funktionieren kann. Winti im Fussball zum Beispiel. Oder noch naheliegender: Der SCRJ. Wäre Eishockey mehr Rappi und weniger Zug, Bern oder Zürich wärs ein besserer Sport.
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Btw: Wenn ich jetzt ganz subjektiv wählen dürfte, wie die NLA in Zukunft sein soll, dann am liebsten so wie die LNAH in Kanada. Hier eine kurze Doku dazu, unser ehemaliger Ausländer Juraj Kolnik hat bis vor kurzem auch noch da gespielt. Und James Desmarais, der mal für ein oder zwei Spiele ausgeholfen hat, ist da glaubs immer noch aktiv. Aber seht selber, wenn ihr mögt
https://youtu.be/SpjnIb6_zU0